Viele Strafanzeigen, möglicherweise sogar die meisten, enden in der vorzeitigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Der durch eine Straftat Verletzte wird dies nicht immer hinnehmen wollen. Die Strafprozessordnung lässt deshalb ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren zu. Hierdurch wird der Verletzte in die Lage versetzt, sich über die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft hinwegzusetzen und die Erhebung der öffentlichen Klage zu erzwingen. Sinn und Zweck ist die strafrechtliche Verurteilung des Täters durch das Strafgericht. Auch zivilrechtlich ist das Klageerzwingungsverfahren von Bedeutung. Denn in allen Fällen, in denen durch eine Straftat vermögensrechtliche Schäden verursacht wurden, stehen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB im Raume. Hiernach ist der Täter dem Opfer zum zivilrechtlichen Schadenersatz verpflichtet, wenn zur Überzeugung des Gerichts er die Straftat begangen hat und hierdurch ersatzfähige Schäden entstanden sind. Allerdings sollte immer gerpüft werden, ob bereits Verjährung droht, denn das Klageerzwingsverfahren unterbricht nicht die zivilrechtlichen Verjährungsfristen (weitere Einzelheiten finden Sie in dem Artikel-> Wann verjähren Ansprüche? Klassische Delikte sind der Betrug, der Diebstahl und die Untreue. Die Ansprüche sind vor dem Zivilgericht zu verfolgen, allerdings in der Regel von einer strafrechtlichen Verurteilung abhängig. Wird das Strafverfahren eingestellt, haben es die Opfer in der Regel vor dem Zivilgericht mit der Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche schwer. Der nachfolgende Artikel legt die Voraussetzungen eines strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahrens dar. 

Formale Anforderungen an die Antragsschrift

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 3 Satz 1 Strafprozessordnung muss die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Der Antrag ist bei dem Oberlandesgericht im zuständigen Gerichtsbezirk einzureichen. Der Klageerzwingungsantrag muss das Oberlandesgericht in die Lage versetzen, allein auf der Grundlage der Antragsschrift ohne zusätzliches Studium der Verfahrensakten zu beurteilen, ob bei unterstellter Beweisbarkeit der vorgetragenen Tatsachen ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, also ein hinreichender Tatverdacht besteht. Mit anderen Worten: Die Antragsschrift allein muss dem mit dem Antrag befassten Gericht eine Schlüssigkeitsprüfung erlauben, Oberlandesgericht Celle Beschluss vom 27. April 2010 Aktenzeichen 2 Ws 102/10.

 

 

 

 

 

Aufwand kann kaum überschätzt werden

 

Die Anforderungen an eine vollständige Antragsschrift sind  sehr hoch. Der Antrag muss nach der obergerichtlichen Rechtsprechung in groben Zügen auch den Gang des Ermittlungsverfahrens einschließlich der Nennung der für die Einhaltung der Fristen erforderlichen Daten sowie den Inhalt der angegriffenen staatsanwaltschaftlichen Bescheide skizzieren. Die Antragsschrift muss sich außerdem mit den Entscheidungsgründen in diesen Bescheiden auseinandersetzen und in rechtlicher oder zumindest tatsächlicher Hinsicht darlegen, warum die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nicht haltbar sein soll, OLG Düsseldorf Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechung Report 1998, Seite 365.

Letztes Rechtsmittel Verfassungsbeschwerde

Wird auch der Antrag auf Klageerzwingung abgelehnt, kann der Verletzte Verfassungsbeschwerde erheben. Denn der Anspruch des Verletzten auf effektive Strafverfolgung ist ein höchstpersönliches Recht, das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich garantiert ist. Nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies muss auch der Richter beachten. Er darf ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen, Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 27. Juli 2016, Aktenzeichen 2 BvR 2040/15.

 

Im Jahr 2018 hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 2. Juli 2018 Aktenzeichen 2 BvR 155017 die sehr restriktive Behandlung der Klageerzwingungsanträge durch die Oberlandesgerichte ausdrücklich als verfassungswidrig gerügt. Es stelle eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz eins Grundgesetz dar, wenn die Obergerichte überzogene Anforderungen an die Begründung eines Klageerzwingungsantrages, die sachlich nicht gerechtfertigt sein, stellen würden.

Verfassungsrechtliche Schranke sachlicher Grund

Die Darlegungsanforderungen müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Was die Obliegenheit zur Darstellung des wesentlichen Inhalts der mitgeteilten Beweismittel in Bezug auf ein Sachverständigengutachten betrifft, müssen Ausführungen eines Sachverständigen nicht vollständig wiedergegeben werden.

Auch Zitate aus Anlagen sind zulässig

Zwar darf eine Antragsschrift grundsätzlich nicht anstelle eigener Ausführungen nur aus aus anderen Dokumenten hineinkopierten Bestandteilen bestehen. Dies gilt aber nicht, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das hineinkopieren lediglich das vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl möglicherweise unsystematisierter Kopien selbst zusammenzustellen, Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. Juli 2018, Orientierungssatz 2BAA. Es wäre deshalb bloße Förmelei und durch den Gesetzeszweck nicht mehr geboten, von dem Antragsteller die Wiedergabe von Anlagen in indirekter Rede zu verlangen, wenn der gleiche Zweck auch durch die Einfügung von Scans oder Direktzitaten erreicht werden kann.

Der konkrete Fall

In dem von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall umfasste der Klageerzwingungsantrag des Beschwerdeführers 108 Seiten. Der Antrag enthielt eine 28-seitige ausführliche und detaillierte Sachverhaltsdarstellung. Auf 67 Seiten legte der Beschwerdeführer eine eingehende, nachvollziehbare und ausgearbeitete Schilderung des Gangs des Ermittlungsverfahrens dar. Die Antragsschrift enthielt eine Auseinandersetzung mit mehreren Gutachten im Zusammenhang mit dem Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Die Antragsschrift setzte sich auch mit den aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhaften Einstellungsbescheiden sachlich auseinander, legte den ärztlichen Behandlungsfehler im einzelnen dar und verwies immer wieder auf der Antragsschrift beigefügte Beweismittel.

 

Achtung Verjährung

Selbst die Strafverfolgung wegen fahrlässiger Tötung ist nach Ablauf von fünf Jahren wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr möglich. Nach § 222 Strafgesetzbuch, 78 Abs. 3 Nummer 4 Strafgesetzbuch, 78 A Satz 1 Strafgesetzbuch beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist mit der Beendigung der Tat. Die Einholung von Gutachten unterbricht die Verjährung nicht. Eine Unterbrechung der Verjährung kommt nur durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bzw. die Vernehmung von Beschuldigten als nach außen zutage tretede Akte der Strafverfolgung in Betracht. Kommt es hingegen zu diesen Akten der Strafverfolgung nicht, wird der Anspruch auf effektive Strafverfolgung durch die Verjährung gefährdet. Denn das Klageerzwingungsverfahren kann nach Eintritt der Verjährung in der Sache schon aufgrund der Verfolgungsverjährung keinen Erfolg mehr haben. Zwar sieht das Bundesverfassungsgericht die Landesjustizverwaltungen zum Schutz des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung in der Pflicht, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen,  dass Ermittlungsverfahren zeitnah abgeschlossen werden, sodass es dem Antragsberechtigten grundsätzlich noch innerhalb der Verjährungsfristen möglich sein muss, rechtzeitig einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 und Abs. 3 Strafprozessordnung zu stellen. Nur in den seltensten Fällen wird der Betroffene aus diesem Appell des Verfassungsgerichts aber konkrete Ansprüche gegen den Staat,  ableiten können. Sein Recht auf effektive Strafverfolgung muss er damit in weiten Teilen selbst in die Hand nehmen - trotz oder gerade wegen des staatlichen Gewaltmonopols. Weitere Ausführungen zur Rechtskultur finden Sie hier

Merksatz 1

Die Anforderungen an die Antragsschrift im Klageerzwingungsverfahren sind außerordentlich hoch.

Merksatz 2

Behalten Sie die Verjährungsfristen im Auge.