LG Bremen: Anspruch auf Eröffnung eines Girokontos gegen Sparkasse

Verbraucher haben nach Auffassung zahlreicher deutscher Gerichte einen klagbaren Anspruch auf Einrichtung eines Girokontos gegen jedes Kreditinstitut, das eine dahingehende freiwillige Selbstverpflichtung eingegangen ist. Eine solche Selbstverpflichtung stellt die Empfehlung “Girokonto für jedermann” des deutschen Zentralen Kreditausschusses (ZKA) dar. Das Landgericht Bremen hat dementsprechend im Jahre 2005 die örtliche Sparkasse verurteilt. Jeder Bürger kann sich auf dieses Urteil berufen.
Allerdings besteht dann kein Anspruch, wenn die Bank sich auf Unzumutbarkeit berufen kann. Dies ist denkbar, wenn der Kunde aus einer früheren Geschäftsverbindung noch in erheblichem Maße Verbindlichkeiten gerade gegenüber dem Krediinstitut hat, dem gegenüber er jetzt seinen Anspruch auf erneute Kontoeröffnung durchsetzen möchte. Andernfalls würde das außerordentliche Kündigungsrecht der Bank faktisch ausgehöhlt (vgl. AG Nürnberg, Az.: 34 C 9121/04).

Das Urteil Landgericht Bremen Az.: 2- O- 408/05vom 16.06.2005 im Vollext

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis.
Der am 03.03.1960 geborene Kläger hatte eine mehrjährige Geschäftsbeziehung zu der Beklagten. Er führte bei ihr auch ein Girokonto. Bei diesem Girokonto überzog der Kläger die
eingeräumte Kreditlinie.
Des Weiteren erhielt die Beklagte zwei gegen den Kläger gerichtete Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, und zwar vom 29.01.1997 und 02.02.2001.
Aufgrund der Überziehungen der Kreditlinie kündigte die Beklagte das Girokonto des Klägers im Jahre 2003. In den AGBs der Beklagten sind zur Auflösung einer Geschäftsbeziehung folgende Regelungen getroffen:
„Nr. 26 – Kündigungsrecht
(1) Ordentliche Kündigung
Sowohl der Kunde als auch die Sparkasse können die gesamt Geschäftsverbindung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, soweit keine abweichenden Vorschriften oder anderweitigen Vereinbarungen entgegenstehen. Kündigt die Sparkasse, so wird sie den berechtigten Belangen des Kunden angemessen Rechnung tragen, insbesondere nicht zur Unzeit kündigen.
(2) Kündigung aus wichtigem Grund
Ungeachtet anderweitiger Vereinbarungen können sowohl der Kunde als auch die Sparkasse […] jederzeit fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, aufgrund dessen dem Kündigenden die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nicht zugemutet werden kann. Dabei sind die berechtigten Belange des anderen Vertragspartners zu berücksichtigen.
Für die Sparkasse ist ein solcher Kündigungsgrund insbesondere gegeben, wenn aufgrund der nachfolgend beispielhaft aufgeführten Umstände die Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen des Kunden oder der Ansprüche der Sparkasse […] gefährdet wird:
[…]”
Der Kläger glich die Überziehungen später durch mit der Beklagten abgesprochene Raten aus, so dass Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger aus dieser Geschäftsbeziehung nicht mehr bestehen.
Da der Kläger jedoch anderweitig Schulden hat, steht er inzwischen unter dem Beistand und der Betreuung der Schuldnerberatung. Er verfügt über kein Girokonto mehr. Ein Versuch, ein Girokonto auf Guthabenbasis bei der Beklagten zu eröffnen, scheiterte. Auch auf Nachfrage durch die Schuldnerberatung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 09.12.2003 die Einrichtung eines Kontos auf Guthabenbasis weiterhin ab.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Bremen (Geschäfts-Nr.: …) wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet (Bl. 88 d. A.). Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Kläger sind somit untersagt, bereits eingeleitete Maßnahmen werden einstweilen eingestellt. Dem Kläger wurde in dem Beschluss insb. aufgegeben:
„III. Soweit der Antragsteller pfändbares Einkommen und Vermögen erlangt, wird ihm untersagt, hierüber zu verfügen. Pfändbares Geld hat er auf einem gesonderten Bankkonto zu halten. Das Bankkonto ist mit einem Sperrvermerk in der Weise einzurichten, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts erfolgen dürfen. Von der Einrichtung des Kontos und eingehenden Geldern hat er das Insolvenzgericht unter Beifügung der Belege unverzüglich zu unterrichten.”
Der Kläger behauptet, die Beklagte sei einer von dem Zentralen Kreditausschuss (ZKA) ausgesprochenen Empfehlung „Girokonto für Jedermann” beigetreten und erkläre dieses auch auf ihrer Homepage.
Der Kläger meint, aus dieser Selbstverpflichtung habe er ein Recht auf Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis, das gerichtlich durchsetzbar sei. Die Ausnahmeregelungen gemäß der Empfehlung, nach denen Bankinstitute im Einzelfall nicht zur Eröffnung eines Kontos verpflichtet seien, träfen auf seinen Fall nicht zu.
Außerdem vertritt der Kläger die Auffassung, dass die AGB der Beklagten diese im Falle einer antragsgemäßen Verurteilung nicht dazu berechtigen würden, das Konto sofort wieder zu kündigen, so dass sein Begehren auch nicht treuwidrig sei.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Girokonto auf Guthabenbasis einzurichten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, bei der ZKA-Empfehlung handele es sich lediglich um eine freiwillige Empfehlung. Eine rechtliche Verpflichtung erwachse ihr daraus nicht. Sie habe zudem zu keiner Zeit durch ihren Internetauftritt den Eindruck erweckt, dass sie der ZKA-Empfehlung beigetreten sei bzw. folgen werde.
Nach Auffassung der Beklagten würde ein Anspruch des Klägers auf der Grundlage der ZKA-Empfehlung ohnehin daran scheitern, dass es der Beklagten nicht zumutbar sei, ein Konto für den Kläger zu führen.
Der Kläger habe gegenüber der Beklagten bereits in seiner früheren Geschäftsverbindung die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Der nunmehr vorliegende Beschluss, dass über das Vermögen der Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, berechtige die Beklagte im Falle einer antragsgemäßen Verurteilung nach ihren AGB zu einer sofortigen außerordentlichen Kündigung des einzurichtenden Kontos.
Der Beschluss, mit dem des Amtsgericht Bremen über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet hat, sei so zu verstehen, dass es dem Kläger aufgrund des Sperrvermerkes eben grad untersagt sei, ein Konto auf Guthabenbasis zu führen. Der Beschluss sei jedenfalls ungewöhnlich und in der Praxis nicht durchführbar. Nach Rücksprache durch die Beklagte mit dem Insolvenzgericht habe dieses erklärt, den Vorgang nochmals zu prüfen und mit den Banken eine Lösung zu suchen. Die Beklagte regt daher die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Insolvenzgerichts an.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 04.05.2004 nebst Anlagen, vom 28.09.2004, vom 02.01.2005 und vom 20.05.2005 nebst Anlagen sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 08.09.2004 nebst Anlagen, vom 07.10.2004, vom 29.11.2004 und vom 03.06.2005 nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger steht die Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis durch die Beklagte aus §§ 780, 328 BGB zu. Die freiwillige Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) ist als verbindliche Willenserklärung zu werten, mit der sich der Gesetzgeber einverstanden erklärt hat. Diese Erklärung wirkt als Vertrag zugunsten Dritter (I). Die Beklagte ist diesem abstrakten Schuldversprechen beigetreten (II). Dem Kläger ein Konto zu eröffnen, ist für die Beklagte weder unzumutbar noch ist die Geltendmachung dieses Rechts durch den Kläger treuwidrig, da nach Einrichtung des Kontos derzeit kein Kündigungsgrund vorliegt (III).
I.
Den Drucksachen des Bundestages (BT-Drucks. 14/3611 und BT-Drucks. 15/2500) ist zu entnehmen, dass die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses vordem Hintergrund abgegeben worden ist, dass ein gesetzlicher Kontrahierungszwang im Raum stand. Dies sollte durch eine Selbstverpflichtung der Banken verhindert werden. Diese freiwillige Empfehlung des ZKA entstand daher keineswegs aus reinem „good will” und geht über eine symbolische Bedeutung weit hinaus. Entsprechend ist in der BT-Drucks. auch von einer „Selbstverpflichtung durch die Kreditwirtschaft” die Rede (BT-Drucks. 15/2500, S. 7). Die Freiwilligkeit bezieht sich insofern lediglich auf die Freiwilligkeit, eine bindende Regelung zu treffen, nicht etwa darauf, dass die avisierte Leistung nur freiwillig zu erbringen ist. Nur aufgrund der Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft hält der Gesetzgeber es derzeit nicht für erforderlich, eine gesetzliche Regelung zu schaffen (BT-Drucks. 15/2500, S. 7).
Die verbindliche Willenserklärung wirkt durch das Einverständnis des Gesetzgebers, das sich aus den Bundestagsdrucksachen ergibt, als abstraktes Schuldversprechen (vgl.: Derleder, EwiR 2003, 963 (964)).
Durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB ergibt sich das Vorliegen eines Vertrages zugunsten Dritter. Begünstigter dieses abstrakten Schuldversprechens zugunsten Dritter ist gemäß der Selbstverpflichtung „Jedermann”.
II.
Die Beklagte muss sich die vorgenannte Selbstverpflichtungserklärung des ZKA auch zurechnen lassen. In dem Zentralen Kreditausschuss haben sich die Verbände der Kreditwirtschaft zusammengeschlossen, um für diesen Wirtschaftszweig auch durch Lobbyarbeit günstige Bedingungen zu schaffen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die freiwillige Empfehlung zu sehen, die ausgesprochen wurde, um eine gesetzliche Regelung zu verhindern. Die Beklagte ist über ihre Mitgliedschaft im Verband der deutschen öffentlichen Sparkassen e.V. Mitglied im Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V., der wiederum Mitglied im ZKA ist. Da der ZKA lediglich ein Dachverband ist, kann sie die abgegebene Selbstverpflichtung nicht selbst leisten, sondern nur durch die von ihr vertretenen Institute. Eine jede Selbstverpflichtung müsste ins Leere gehen, wenn die einzelnen Institute daran nicht gebunden sind. So nimmt die Beklagte als außerordentliches Mitglied im Bundesverband öffentlicher Banken Deutschlands ausdrücklich an dem dort vorgesehenen Beschwerdeverfahren teil, welches unter anderem für die Einhaltung der ZKA-Empfehlung vorgesehen ist.
Hinzu kommt, dass die Beklagte auf ihrer eigenen Homepage unter der Rubrik „Geschichte” mit dem Eintrag
1995 Einführung des „Girokonto für Jedermann”
wirbt. Im Kontext mit den anderen Einträgen, die sich speziell auf die Beklagte beziehen, kann dieser Eintrag nur dahingehend verstanden werden, dass die Beklagte sich explizit der Selbstverpflichtung des ZKA angeschlossen hat.
III.
Es ergibt sich aus den bestehenden Kontopfändungen bei dem Kläger keine Unzumutbarkeit für die Beklagte, dem Kläger ein Konto auf Guthabenbasis zu errichten, da die Pfändungsbeschlüsse durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 07.10.2004 obsolet geworden sind. Der Kläger könnte das Konto also vorbehaltlich einer Zustimmung durch das Insolvenzgericht tatsächlich nutzen und dies bereits unabhängig von dem weiteren Vorbringen bzgl. pfändungsfreier Grenzen.
Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger sich bereits in einer vorherigen Geschäftsbeziehung mit der Beklagten vertragswidrig verhalten hat, indem er seine Kreditlinie überschritt und die Beträge trotz mehrfacher Mahnungen nicht ausgeglichen hat. Aus diesem vergangenen Verhalten kann nicht automatisch geschlossen werden, dass der Kläger die Vereinbarungen des Girovertrages zukünftig nicht einhalten wird. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die seinerzeit entstandenen Verbindlichkeiten zwischenzeitlich ausgeglichen hat. Ein Girokonto auf Guthabenbasis erlaubt zudem eine Überziehung des Kontos gerade nicht, so dass eine Wiederholung nicht in Betracht kommt. Schließlich geht es bei dem Girokonto für Jedermann insbesondere darum, jedem unabhängig von der Art und Höhe seiner Einkünfte die Einrichtung eines Girokontos (auf Guthabenbasis) zu ermöglichen. Dies ist heutzutage zur Teilnahme am modernen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben unerlässlich. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in der sich der Kläger befand und vermutlich noch befindet, dürfen daher nicht zum Anlass genommen werden, ihm diese Möglichkeit zu verwehren. Eine solche Handlungsweise erscheint vor dem Hintergrund der Selbstverpflichtung kontraproduktiv. Eine reine Geldschuld, die zudem längst beglichen worden ist, kann für eine Bank, die unentwegt mit Geldschulden zu tun hat, kein Anlass sein, eine Kontoeröffnung für unzumutbar zu halten. Bedenken dahingehend, dass die Beklagte die üblichen für die Kontoführung zu entrichtenden Entgelte nicht erhalten würde, werden nicht vorgetragen.
Unzweifelhaft ist die Kontoführung eines solchen Kontos für die Bank mit Mehraufwand verbunden, da ggf. Sperrvermerke oder ähnliches eingetragen werden müssen. Dies macht es für die Bank aber im Hinblick auf die elementare Bedeutung eines Girokontos für den Einzelnen noch nicht schlechthin unzumutbar. Hierzu sind keine Tatsachen ersichtlich und von der Beklagten auch nicht ausreichend vorgetragen worden.
Da es der Beklagten auch nicht möglich wäre, das Konto direkt nach der Eröffnung wieder zu kündigen, ist die Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger auch nicht treuwidrig. Die Berufung der Beklagten auf Ziff. 26 Abs. 2 a ihrer AGB, nach denen eine außerordentliche Kündigung zulässig sein soll, wenn der Kunde seine Zahlungen einstellt oder erklärt, die Zahlungen einstellen zu wollen, greift nicht. Richtigerweise wird zwar vorgebracht, dass die Wirksamkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in dieser Form nicht in Zweifel gezogen werden kann. Jedoch sehen die AGB bei einer Kündigung vor, dass die berechtigten Belange des anderen Vertragspartners zu berücksichtigen sind und dass für die Beklagte ein Kündigungsgrund insbesondere dann besteht, wenn die Durchsetzbarkeit der Ansprüche der Beklagten gefährdet wird. Vom Kläger wird lediglich die Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis begehrt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen der Beklagten kann insofern nicht gefährdet sein, da Überziehungen nicht geduldet werden brauchen. Insbesondere ist aber auch auf die berechtigten Belange des Klägers Rücksicht zu nehmen. Angesichts der Notwendigkeit eines Girokontos für den Kläger wäre eine Kündigung nicht zulässig, denn sie würde den berechtigten Belangen des Kunden nicht angemessen Rechnung tragen, vgl. Nr. 26 Ziff (1) Satz 2, Ziff. (2) Abs. 1 Satz 2 der AGB der Beklagten.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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