Pflichtteilsrecht

Die Erbrechtsreform 2009 hat das Pflichtteilsrecht im Wesentlichen unangetastet gelassen.
Der Pflichtteil ist das gesetzlich vorgeschriebene Mindesterbrecht für die Angehörigen des Erblassers. Eine Enterbung ist nur bis zur Höhe des Pflichtteils ohne weiteres möglich. Erforderlich ist nur eine einfache entsprechende Bestimmung im Testament, wonach die Erbfolge abweichend geregelt wird.
Die Höhe des Pflichtteils beträgt die Hälfte des gesetzlichen Regelerbteils.
Die Besonderheit des Pflichtteilsanspruchs besteht darin, dass es sich um einen reinen Geldanspruch handelt. Das kann zu Folge haben, dass sich aus taktischen Gründen die Wahl des Pflichtteils für einen an und für sich höher Erbberechtigten lohnen kann. Aus dem selben Grund kann der Pflichtteilsberechtigte eine vergleichsweise starke Verhandlungsposition gegenüber den sonstigen Erben haben, wenn der Nachlass nicht genügend liquide ist, um den Pflichtteilsanspruch sofort bedienen zu können. Dies gilt beispielsweise dann, wenn zum Nachlass hochwertige Grundstücke gehören, die den Nachlasswert nach oben treiben, die aber nicht sofort zu einem angemessenen Preis verkauft werden können oder sollen. In besonderen Härtefällen sieht das Gesetz in § 2331a BGB allerdings die Möglichkeit für die Erben vor, dass der Anspruch gestundet wird.
Für die Höhe des Pflichteilsanspruchs ist der Nachlasswert am Todestag maßgeblich. Die Quote beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, § 2303 Abs.1 Satz 2 BGB. Der Nachlasswert ist das Ergebnis eines Vergleichs der Aktiva und Passiva. Zu den Aktiva gehört auch der Voraus, d.h. der vorab dem Ehegatten zustehende Anteil am Hausrat. Weiterhin gehören auch Ansprüche und Forderungen zum Nachlass, die dementsprechend mit zu bewerten sind. Eine Lebensversicherung gehört nur zum Nachlass, wenn kein Bezugsberechtigter gegenüber der Versicherung benannt worden ist. Anderes kann sich aber ergeben, wenn die Lebensversicherung an eine Bank zu Sicherungszwecken abgetreten wurde (BGH NJW 1996. S. 2230).


Verbindlichkeiten sind vorab aus dem Nachlass zu befriedigen und vermindern den Pflichtteilsanspruch.
Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers. Hierzu gehören auch adoptierte und nichteheliche Kinder, Enkel und Urenkel. Das adoptierte Kind hat ein Pflichtteilsrecht grundsätzlich nur gegenüber den neuen Eltern, nicht aber gegenüber der alten Familie. Es gibt hier aber Ausnahmen, so dass es grundsätzlich in bestimmten Konstellationen möglich ist, dass einem adoptierten Kind mehrere Pflichtteilsrechte zustehen können. Dies gilt insbesondere für denkbare Pflichtteilsansprüche gegenüber Großeltern im Rahmen der Verwandten- und Stiefkindadoption, da nach § 1756 Abs. 1 BGB die Verwandtenadoption nur das Verwandtschaftsverhältnis gegenüber den leiblichen Eltern zum Erlöschen bringt, nicht aber gegenüber den leiblichen Großeltern.
Das Pflichtteilsrecht eines näheren Abkömmlings schließt dasjenige des entfernteren Abkömmlings aus, das heisst, der Enkel kommt erst dann zum Zuge, wenn der Sohn bzw. die Tochter des Erblassers am Todestag ebenfalls bereits verstorben ist.
Auch der Ehegatte und der eingetragene Lebenspartner haben ein Pflichtteilsrecht. Dies gilt auch, wenn die Partner bereits getrennt leben, was ggf. rechtzeitig beachtet werden sollte.

Der kleine Pflichtteil

Der Pflichtteil des Ehegatten ist der sogenannte kleine Pflichtteil. Das bedeutet, dass die Erhöhung des gesetzlichen Erbteils im Falle der Zugewinngemeinschaft bei der Berechnung des Pflichtteils außer Betracht bleibt. Dies ist in § 1371 BGB näher geregelt. Der Pflichtteil beträgt damit, wenn Kinder vorhanden sind, in der Regel zwischen 1/8 und 1/6 der Erbschaft.
Auch die Eltern des Erblassers können als gesetzliche Erben zweiter Ordnung ebenfalls pflichtteilsberechtigt sein, allerdings nur, wenn der Erblasser keine Kinder hatte oder diese wirksam auf ihr Erbrecht verzichtet, es ausgeschlagen haben oder enterbt wurden.
Die Geschwister des Erblassers können nie pflichtteilsberechtigt sein. Diese Tatsache wird oft übersehen, weil den Geschwistern andererseits und scheinbar widersprüchlich durchaus Teile oder sogar die ganze Erbschaft nach der gesetzlichen Erbfolge zufallen können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Erblasser kinderlos war, seine Eltern bereits vorverstorben sind und er nicht per Testament anderweitige Bestimmungen über das Erbe getroffen hat. In einem solchen Fall erben die Geschwister über das auf sie übergegangene Erbrecht der Eltern. Sie haben aber kein Pflichtteilsrecht, weil § 2303 BGB hierzu eine klare Sonderregelung trifft, wonach der Pflichteil nur den Abkömmlingen (Kinder, Enkel), dem Ehgatten bzw. Lebenspartner und den Eltern zustehen kann, nicht aber den Geschwistern (und auch nicht den Großeltern).

Der Pflichtteilsrestanspruch

Der nicht enterbte, aber dennoch im Testament zu kurz gekommene Erbe hat zwar keinen Pflichtteilsanspruch, aber gegebenenfalls einen sogenannten Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB. Dieser Pflichtteilsrestanspruch bleibt sogar bestehen, wenn das Erbe ausgeschlagen wurde (Bundesgerichtshof Urteil vom 21. März 1973, NJW 1973, S. 995). Bei Ausschlagung durch den Ehegatten gilt die Sonderregelung des § 1371 Abs. 3 BGB.
Bei freiwilliger Ausschlagung des Erbes geht grundsätzlich auch ein Pflichtteilsanspruch verloren. Ausnahmsweise behält der Erbe seinen Pflichtteilsanspruch und er hat insoweit ein Wahlrecht zwischen Annahme der Erbschaft einerseits und Ausschlagung sowie anschließender Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches, wenn das testamentarisch zugewandte Erbe mit besonderen im einzelnen in § 2306 BGB genannten Auflagen und Einschränkungen zugewandt wurde, insbesondere durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers, Bestimmung von Nacherben und so weiter. Die Einzelheiten sind kompliziert und bedürfen anwaltlicher Beratung. Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil eine Ausschlagung grundsätzlich nicht rückgängig gemacht werden kann und weil in den kritischen Fällen, in welchen derartige Überlegungen, in den Pflichtteil zu fliehen, sich aufdrängen, oftmals die testamentarischen Beschränkungen selbst bereits wegen übermäßiger Belastung des Erben wiederum nach § 2306 BGB unwirksam sind, ohne dass es der Ausschlagung bedarf.
Eine weitere Sonderregelung trifft § 2307 BGB für Erben, denen ein Vermächtnis zugewandt wurde. Auch diese Erben haben ein Wahlrecht, ggf. durch Ausschlagung auf den Pflichtteil zu gehen.
Bei der Berechnung des Pflichtteils sind ältere Schenkungen des Erblassers mehr als zehn Jahre vor seinem Tod grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, wenn diese mit der Bestimmung gegeben wurden, dass sie auf das Erbe angerechnet werden sollen. Fehlt eine Bestimmung, findet keine Anrechnung statt, es sei denn, es handelte sich um die sogenannte Ausstattung, dh. typischerweise das von den Eltern an die Kinder gegebene Startkapital zur Begründung eines Hausstandes, aber auch Kapital zur wirtschaftlichen Existenzgründung oder die Schuldentilgung zur Verhinderung von existenziellen Nöten der Kinder (so das Reichsgericht, Juristische Wochenschrift 1912, S. 913). In Grenzfällen sollte anwaltlicher Rat eingeholt werden.
Fand die Schenkung in kürzerem zeitlichen Abstand zum Erbfall als zehn Jahre statt, wird die Ausnahme zur Regel, d.h. in diesem Fall wird der Wert der Schenkung grundsätzlich zum Nachlass hinzugerechnet und wirkt damit pflichtteilserhöhend (sogenannter Pflichtteilsergänzungsanspruch). Die Einzelheiten sind in § 2325 BGB geregelt. Wenn die Schenkung als Belohnung für geleistete Dienste erfolgte, ist in der Rechtsprechung umstritten, ob solche Schenkungen ebenfalls pflichtteilserhöhend zum Nachlass gerechnet werden sollen. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1977 (nachzulesen in WM 1977, S. 1410) können belohnende Schenkungen an sich zwar der Anrechnung unterfallen, es wird aber zugunsten des Erblassers und zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten eine Ausnahme dann gemacht, wenn der Erblasser pflegebedürftig war und die Schenkung insoweit dem pflegenden Angehörigen einen Ausgleich bieten sollte, der auch nicht durch eine fiktive Anrechnung beim Pflichtteilsanspruch faktisch rückgängig gemacht werden soll. Im übrigen schützt das Gesetz in § 2330 BGB Anstandsschenkungen vor der Anrechnungspflicht. Schenkungen als Gegenleistungen für geleistete Pflege gehört allerdings nur dann zur Gruppe der geschützten Anstandsschenkungen, wenn die pflegende Person im nachhinein beweisen kann, dass die Pflege zu eigenen schweren persönlichen Nachteilen und Opfern geführt hat, so der Bundesgerichtshof im Jahre 1986 (nachgewiesen in NJW 1986, 1926).

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