Obliegenheiten spielen eine große Rolle im Versicherungsrecht. Obliegenheiten sind Pflichten des Versicherungsnehmers während des laufenden Vertragsverhältnisses. Zu den Obliegenheiten gehört die Verpflichtung, für eine angemessene Sicherung des versicherten Objekts zu sorgen bzw. es nicht leichtfertig Gefahren auszusetzen, die den Gegenstand der Versicherung bilden. Nach Eintritt eines Versicherungsfalles trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit, unverzüglich Meldung bei der Polizei zu machen und in jeder Hinsicht wahrheitsgemäße Angaben gegenüber dem Versicherer zum Schadensfall und zur Schadenshöhe.
Vor der großen Reform des Versicherungsvertraggesetzes im Jahre 2008 führten Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nach dem so genannten Alles oder Nichts-Prinzip zum vollständigen Leistungsausschluss. Weil dies in vielen Fällen als zu harte Sanktion empfunden wurde, behalf sich die Rechtsprechung in der Praxis mit im Einzelfall einer Aufweichung der konkreten Obliegenheiten. Nach neuer Rechtslage (seit 2008) führen Obliegenheitsverletzungen in der Regel nur noch zu einer quotalen Kürzung des Anspruchs auf Versicherungsentschädigung.
Erste Rechtsprechung zu Kürzungsquoten
Rechtsprechung zu konkreten Kürzungsquoten gibt es derzeit noch wenig. In einer Entscheidung des OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 21 April 2010 Aktenzeichen I 20 U 182/09 sind jetzt erste für eine Verallgemeinerung taugliche Ansätze herausgearbeitet worden. Im konkreten Fall hatte der Versicherungsnehmer es unterlassen, ausreichende Sicherheitsvorkehrungen gegen Diebstahl eines versicherten Motorbootes zu treffen. Das OLG Hamm wertete aufgrund der im Rahmen dieses Artikels nicht weiter interessierenden Einzelheiten den Verstoß des Versicherungsnehmers als durchschnittliche grobe Fahrlässigkeit und leitete hieraus eine Kürzungsquote von 50 % ab. Entsprechendes hat das Landgericht Konstanz (veröffentlicht in Zeitschrift für Schadensrecht 2010, Seite 214) angenommen und darauf abgestellt, dass die Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers weder als besonders schwer noch als besonders leicht anzusehen war. Abgeleitet von dieser Gedankenführung lässt sich für die Zukunft annehmen, dass die Rechtsprechung bei einer besonders schweren Fahrlässigkeit eine Kürzungsquote von rund 75 % annehmen wird, während bei einer nur leichten Fahrlässigkeit die Kürzung bei rund 25 % liegen dürfte. In der versicherungsrechtlichen Literatur wird daneben diskutiert, ob nicht sachgerechter eine Unterteilung in 10 %-Schritten angemessener wäre. Eine noch weiter ausdifferenzierte Qotierung wird nicht ernsthaft diskutiert.
Die Kriterien zur Ermittlung der Schwere einer Obliegenheitsverletzung
Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung führt nach der maßgeblichen Vorschrift des § 28 VVG zu einem vollständigen Ausschluss auch nach neuem Recht. Im übrigen ist die Schwere des Verschuldens von entscheidender Bedeutung. Es kommt aber auch auf die Dauer und die Intensität der Obliegenheitsverletzung an sowie auf die konkreten wirtschaftlichen Folgen. Je mehr die konkrete Obliegenheitsverletzung auf die konkrete Höhe der beanspruchten Entschädigung durchschlägt, desto eher ist eine Kürzung gerechtfertigt.
Mit einer weiteren Konkretisierung der anzuwendenden Maßstäbe ist in den nächsten Jahren zu rechnen. Der den Versicherungsnehmer vertretende Anwalt muss am Einzelfall orientiert herausarbeiten, inwieweit die Obliegenheitsverletzung nur auf Nachlässigkeit beruhte und ohne konkrete Folgen für den Versicherungsfall und die Regulierung geblieben ist.