Klagemöglichkeiten im Zusammenhang mit Abstandsflächen zu Gunsten der Grundstücksnachbarn bei Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen

Windenergieanlagen benötigen Abstandsflächen, um genehmigt werden zu können. Benachbarte Eigentümer können deshalb regelmäßig Ansprüche geltend machen, wenn in der Nähe ihres Grundstückes Windenergieanlagen errichtet werden. Die konkrete Bemessung der Abstandsflächen ist vielfach in den Bauordnungen der Länder geregelt. Unabhängig von den öffentlich-rechtlichen Festlegungen kann auch aus privatem Nachbarrecht teilweise ein Anspruch aus § 1004 BGB hergeleitet werden. Gegebenenfalls besteht auch ein Anspruch auf Anfechtung der Baugenehmigung.

Das Urteil OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 10.09.1999 AZ: 8 B 11689/99.OVG

In einem von dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entschiedenen Fall klagte der benachbarte Eigentümer gegen die dem Anlagenbetreiber erteilte Baugenehmigung unter anderem mit dem Argument einer zu großen Lärmentwicklung. Das Urteil geprüft mustergültig die verschiedenen Ansatzpunkte für Betroffene Grundstückseigentümer, gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Windkraftanlage vorzugehen.

Rücksichtnahmegebot

Wegen der von dem Antragsteller in erster Linie geltend gemachten Beeinträchtigung für sein Hof- und Wohnhausgrundstück ist eine Rechtsverletzung nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, dass keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des insofern allein in Betracht kommenden Anspruchs auf Beachtung des Rücksichtnahmegebots vorliegen. Es hat sich dabei zu Recht auf das schalltechnische Gutachten der Firma … GmbH vom 4. Februar 1999 gestützt, das zu den mit Bauschein vom 12. April 1999 genehmigten Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 91 m erstellt und auch von dem staatlichen Gewerbe-aufsichtsamt in N… in dessen Stellungnahme vom 25. Februar 1999 akzeptiert worden ist. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, dass die Gutachter ihrer Lärmprognose konservative, d.h. für die Ortslage O… ungünstige, Annahmen zugrunde gelegt haben (etwa: emissionsrelevante Schallleistungspegel von 104,3 dB(A), die zugleich die Maximalpegel der Windenergieanlagen darstellen – vgl. Gutachten, S. 4 -, hohe Windgeschwindigkeit, ungünstige Windrichtung, Zuschlag von 3 dB(A)). Es hat auch das von dem Antragsteller zu beanspruchende Schutzniveau zutreffend mit 45 dB(A) nachts (Immissionsrichtwert für ein Dorfgebiet) angegeben, so dass die Lärmprognose bei dem für die G…straße ermittelten Beurteilungspegel von 39 dB(A) für den Antragsteller “auf der sicheren Seite!” ist. Wegen der weiteren Einzelheiten kann entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 7 – 10 des Beschlusses) verwiesen werden.

Nachbarschützende Funktion der Regelungen über Abstandsflächen

Soweit der Antragsteller darüber hinaus auch eine Beeinträchtigung in der Nutzung seiner landwirtschaftlichen Parzellen Nrn. 1622 und 1788 geltend macht, spricht nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung mehr für eine Verletzung seines Anspruchs auf Beachtung des Abstandsflächenrechts. Der hier maßgebliche § 8 Abs. 8 i.V.m. Abs. 10 LBauO i.d.F. des Gesetzes vom 24. November 1998 (GVBl S. 365) hat nachbarschützende Funktion. Nach dem Wortlaut der Bestimmung hängt der Anspruch auf Beachtung dieser Vorschrift nicht von einer mehr oder weniger starken tatsächlichen Beeinträchtigung ab (vgl. zum Abstandsflächenrecht allgemein: OVG NW, Urteil vom 5. Februar 1996, UPR 1996, 276, 277; OVG Saarland, Urteil vom 6. März 1987, BRS 47 Nr. 100). Bislang ist nichts dafür ersichtlich, dass das Geltendmachen dieser Rechtsposition eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.

Windenergieanlagen grundsätzlich zu beurteilen wie Gebäude

Windenergieanlagen sind bauliche Anlagen, von denen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen. Dies wird von der Landesbauordnung unterstellt, was sich letztlich aus der Spezialregelung in § 8 Abs. 10 Satz 2 LBauO ergibt (vgl. im Übrigen: OVG NW, Urteil vom 29. August 1997, NVwZ 1998, 978, 979; Gemeinsames Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen, des Ministeriums des Innern und für Sport, des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau und des Ministeriums für Umwelt und Forsten, Hinweise zur Beurteilung der Zulässigkeit von Windenergieanlagen, vom 18. Februar 1999 – MBl. S. 148, im Folgenden: WEA-Hinweise, Abschnitt IV Nr. 2.2). Für solche bauliche Anlagen gelten gemäß § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO die Absätze 1 – 7 gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen entsprechend. Einer entsprechenden Anwendung bedarf es einmal für die Ermittlung der Wandhöhe H, zum anderen für die Lage der Abstandsfläche auf der Erdoberfläche. In beiderlei Hinsicht ist zu entscheiden, wie der von den Rotorbewegungen – vertikal um die eigene Achse und horizontal um die Achse des Mastes – gebildete Raum zu bewerten ist.

Verschiedene Berechnungsarten, Parallele zu Gebäudegiebeln

Was die Höhe H der Windenergieanlagen anbelangt, herrscht Einigkeit, dass die von dem Rotor vertikal bestrichene Fläche in vollem Umfang zu berücksichtigen ist. Unterschiedliche Auffassungen bestehen nur darin, ob als Höhe H von dem Scheitelpunkt des von dem Rotor beschriebenen Kreises auszugehen ist (so: WEA-Hinweise IV.2.2; Jeromin, LBauO 1999 – Kommentar, § 8 Rdnr. 145 mit Abbildung 59) oder ob die Berechnung von H in Anlehnung an die Sonderregelungen für Giebelflächen in § 8 Abs. 4 Sätze 3 – 6 LBauO zu erfolgen hat (so: Stich/Gabelmann/Porger, LBauO-Kommentar, Stand April 1999, § 8 Rdnr. 121: H = Masthöhe + (0,4637 x Rotorradius)). Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die zuletzt genannte Berechnungsmethode dem Entsprechungsgebot gemäß § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO eher gerecht wird. Dies ergibt hier eine Höhe H von 105,37 m (91 m + 0,4637 x 31 m). Unter Inanspruchnahme der Vergünstigung gemäß § 8 Abs. 10 Satz 2 LBauO, deren Voraussetzungen hier ersichtlich vorliegen, errechnet sich daraus eine Abstandsfläche von 26,34 m.
Hinsichtlich der Lage der Abstandsfläche auf der Erdoberfläche liegt es nach der oben dargestellten Methode zur Ermittlung der Höhe H nahe, die von dem Rotor – je nach der Windrichtung – horizontal bestrichene Fläche ebenfalls in vollem Umfang zu berücksichtigen. Der von dem Rotor durch seine horizontale und vertikale Drehung gebildete Raum entspricht dann einem gegenüber dem Mast vortretenden Bauteil. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO beginnt die Abstandsfläche am Fuß der Außenwand. Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 LBauO sind die Abstandsflächen für vortretende Wandteile gesondert zu ermitteln; unberücksichtigt bleiben lediglich untergeordnete Vorbauten, die nicht mehr als 1,50 m vortreten (§ 8 Abs. 5 Satz 2 LBauO). Wegen der Dauerhaftigkeit der Rotorbewegungen kann das Ausschwenken aus der Senkrechten des Mastes entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch nicht mit den Drehbewegungen beweglicher Bauteile wie Garagentore oder Fensterflügel verglichen und deshalb auch nicht als unerheblich angesehen werden. Da in den Absätzen 1 – 7 des § 8 LBauO ansonsten keine einschlägigen Bestimmungen enthalten sind, dürfte es für die von § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO geforderte entsprechende Anwendung bei der Grundregel verbleiben, dass die Abstandsfläche an dem am weitesten vortretenden Teil der baulichen Anlage beginnt, hier also an dem Rand des durch die Projektion der Kugelform auf die Geländeoberfläche gebildeten Kreises (so: WEA-Hinweise IV.2.2; Stich/Gabelmann/Porger, aaO, Rdnr. 122; auch: OVG NW, aaO, S. 980 zur früheren Rechtslage in NRW).

Abstandsfläche beginnt ab Ende der fiktiven Kugelform des Rotors

Der Beigeladenen ist zuzugeben, dass die durch die Rotorbewegungen gebildete Kugelform ein vorgestellter und kein vollkommen massiver Gebäudeteil ist. In der jeweiligen Rotationsebene handelt es sich jedoch sehr wohl um eine massive bauliche Anlage. Dieser Umstand würde vernachlässigt, wenn man die Abstandsfläche am Fuß des Mastes beginnen ließe.
Des Weiteren spricht ein gesetzessystematisches Argument für die Auffassung, die Abstandsfläche am Rand des auf die Geländeoberfläche projizierten Kreises dieser Kugelform beginnen zu lassen. Denn nur bei dieser Auffassung lässt sich die Vergünstigung für Windenergieanlagen in § 8 Abs. 10 Satz 2 LBauO erklären. Würde die Abstandsfläche bereits am Mast beginnen (so wohl: Jeromin, aaO, Rdnr. 145 mit Abbildung 60), ist kein Grund dafür ersichtlich, wieso Windenergieanlagen gegenüber anderen Masten oder Türmen so deutlich privilegiert werden. Dies würde etwa bei einer Windenergieanlage wie der im Bauschein vom 12. April 1999 genehmigten bedeuten, dass die Rotorblätter mit ihrem Radius von 31 m über die Abstandsfläche hinausragten. All dies spricht für die in den WEA-Hinweisen vertretene Auslegung der gesetzlichen Regelung über die Lage der Abstandsfläche bei Windenergieanlagen.

konkreten Gesetzestext beachten

die Berechnung der Abstandsflächen wird zunehmend in den Landesbauordnungen konkret festgelegt. Die Formulierungen in den jeweiligen Bundesländern sind unterschiedlich. Die Entscheidung des OVG Rheinland-falls ist deshalb auf andere Landesbauordnungen nur bedingt übertragbar:
Das Verfahren in der Hauptsache wird Gelegenheit geben, dem von der Beigeladenen hierzu geäußerten Bedenken nachzugehen; im Rahmen dieses Hauptsacheverfahrens kann dann gegebenenfalls auch eine – von der Beigeladenen bereits jetzt im Eilverfahren beantragte – Stellungnahme des zuständigen Ministeriums eingeholt werden, die sich dann vergleichend auch zu der Rechtslage etwa in Nordrhein-Westfalen (Abstandsfläche ab Mast, allerdings 0,5 H) verhalten mag. Soweit die Beigeladene vorträgt, wegen der im Durchschnitt geringen Grundstücksgrößen in Rheinland-Pfalz müsse die Abstandsfläche zwingend am Mast beginnen, wolle man nicht die Privilegierung der Windenergieanlagen ungerechtfertigt stark einschränken, erscheint dies angesichts des oben dargelegten systematischen Zusammenhangs der gesetzlichen Regelung wenig überzeugend. Vielmehr hätte es dann nahegelegen, eine etwa der nordrhein-westfälischen Rechtslage entsprechende eindeutige Regelung vorzusehen (§ 6 Abs. 10 Satz 5 BauONW i.d.F. des Gesetzes vom 24. Oktober 1998, GVBl NW S. 687 – lautet: “Die Abstandsfläche ist ein Kreis um die geometrische Mitte des Mastes.”).

Milderes Mittel: Einschränkung der Baugenehmigung

Obwohl demnach Einiges dafür spricht, dass die Windenergieanlagen 1 und 3 die Abstandsfläche in Richtung der Grundstücke des Antragstellers nicht einhalten und der Antragsteller insofern in seinen Rechten verletzt ist, hat der Senat die Vollziehung der angefochtenen Baugenehmigung dennoch nicht in vollem Umfang ausgesetzt. Ausschlaggebend hierfür war die Erkenntnis, dass die notwendige Abstandsfläche nur bei einer Horizontaldrehung der Rotoren um vollständige 360 Grad nicht eingehalten wird. Der Senat geht davon aus, dass es technisch möglich ist, die horizontale Drehbewegung um die Achse des Mastes so einzuschränken, dass die im Tenor formulierte Auflage eingehalten wird. Entsprechend könnte die Baugenehmigung im Rahmen des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens ergänzt werden. Diese Einschränkung dürfte nicht so gravierend sein. Denn nach den genehmigten Bauunterlagen liegt der Mast 50 m von der Wegeparzelle entfernt; im Rahmen der vorläufigen Regelung wird davon ausgegangen, dass deren halbe Breite von der Abstandsfläche in Anspruch genommen werden darf (§ 8 Abs. 2 Satz 2 LBauO).
Der Senat hält es für interessengerecht, den Vollzug der Baugenehmigung nur entsprechend dem Umfang der dem Antragsteller aller Voraussicht nach zustehenden Rechtsposition auszusetzen. Die Beigeladene wird zu prüfen haben, ob das Gebrauchmachen von der so eingeschränkten Baugenehmigung für sie wirtschaftlich sinnvoll ist. Zudem wird das anhängige Widerspruchsverfahren Gelegenheit geben, nach Lösungsmöglichkeiten für das durch den Baubeginn vor Eintritt der Bestandskraft der Baugenehmigung entstandene Problem zu suchen; zu denken wäre etwa an die Übernahme einer Abstandsflächenbaulast auf dem Grundstück des Antragstellers, um eine vollständige horizontale Drehung Rotoren um 360 Grad zu ermöglichen.

Fazit

Abstandsflächen sind ein besonders sensibler Bereich im Planungsrecht und Nachbarrecht. Bei Nichteinhaltung stehen dem Nachbarn umfangreiche Abwehrrechte zu. Nicht immer gelingt es jedoch, ein ganzes Bauvorhaben zu Fall zu bringen. Weiterführende Informationen zu vertragsrechtlichen Grundlagen des Betriebes von Windenergieanlagen finden Sie auch in dem Artikel → Der Pachtvertrag zum Betrieb einer Windkraftanlage.

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