Mit Urteil vom 23. Mai 2012 Aktenzeichen IV ZR 250/11 hat der Bundesgerichtshof die Theorie der Doppelberechtigung im Pflichtteilsrecht aufgegeben. In Zukunft wird es für enterbte Abkömmlinge leichter, vermögensmindernden Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers nachzuforschen und diese zur Erhöhung des eigenen Pflichtteilsanspruchs in die Berechnung einzustellen.
Der Fall
Die Großeltern errichteten ein gemeinschaftliches Testament, in welchen sie sich gegenseitig zu Erben einsetzten. Zwischenzeitlich hatten die eigenen Kinder ihrerseits Kinder geboren. Die Enkelkinder waren in den Jahren 1946 und 1978 geboren. Nach dem Tode des Großvaters im Jahre 2006 machten diese beiden Enkelkinder gegen die Großmutter ihre Pflichtteilsrechte geltend.
Der Auskunftsanspruch, gerichtet auf Vorlage eines Nachlassverzeichnisses
Sie forderten die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 BGB) . Hierbei stellten sie klar, dass das Nachlassverzeichnis auch Schenkungen einschließlich untereinander gemachter Zuwendungen des Erblassers an die Erbin und an Dritte beinhalten sollte. Auch verlangten sie Auskunft über unentgeltliche Zuwendungen, die der Erblasser bereits vor der Geburt der Enkelkinder vorgenommen hatte.
Bereits auf dieser Stufe kam es zum Rechtsstreit. Die Großmutter lehnte die letztgenannten Auskünfte mit dem Argument ab, dass wenn entsprechende Schenkungen vorliegen sollten, es an der Anspruchsberechtigung der Enkel fehle, weil diese zum Schenkungszeitpunkt noch ungeboren waren. Sie hätten keinen diesbezüglichen pflichtteilsrechtlichen Anspruch, weshalb auch nicht eine entsprechende Auskunft zu erteilen sei. Denn beim Auskunftsanspruch handelt sich um einen reinen Hilfsanspruch.
Das Urteil des BGH
Der BGH hat nunmehr sich von seiner jahrzehntelangen Rechtsprechung verabschiedet, wonach tatsächlich für den Pflichtteilsergänzungsanspruch, der sich auch auf Schenkungen des Erblassers erstreckt, nicht darauf ankommt, dass die pflichtteilsberechtigte Person bereits zum Zeitpunkt dieser Schenkung gelebt haben muss. Diese Rechtsprechung wurde Theorie der Doppelberechtigung genannt, wonach die Pflichtteilsberechtigung zum einen dann vorliegen muss, wenn der Pflichtteilsanspruch tatsächlich geltend gemacht wird und zum anderen hinsichtlich der Höhe des Anspruchs auch bezüglich sämtlicher zuzurechnender Tatbestände in der Vergangenheit. Das letztere Erfordernis hat der BGH jetzt fallengelassen und demgemäß die Großmutter zur Auskunft verurteilt.
Der Bundesgerichtshof begründet diese Abkehr von der früheren Rechtsprechung damit, dass diese zu einer mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Ungleichbehandlung von Abkömmlingen des Erblassers führen würde. Außerdem sei es letztlich unter derartigen Umständen nur dem Zufall geschuldet, ob ein Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht, je nachdem ob die Abkömmlinge vor oder erst nach der Schenkung geboren werden.
Fazit
Bei der Geltendmachung von Auskunftsansprüchen der pflichtteilsberechtigten Hinterbliebenen ist genauestens auf die Formulierung zu achten. Die Pflichtteilsrechte werden durch diese neue Rechtsprechung im Zweifel umfangreicher, aber auch komplizierter in der Durchsetzung, weil über noch weiter zurückliegende Vermögensverschiebungen der Sachverhalt aufgearbeitet werden muss. Enterbte werden in Zukunft noch besser geschützt. Die Möglichkeiten des Erblassers, zu Lebzeiten zulasten seiner Abkömmlinge sein Vermögen zu schmälern, sind weiter eingeschränkt worden. Mehr über das Pflichtteilsrecht können Sie in dem Überblicksartikel → Überblick Erbrechtlesen .