Ratgeber Schmerzensgeld-Berechnung

Das deutsche Recht kennt grundsätzlich nur einen Schadenersatzanspruch für so genannte Vermögensschäden. Schmerzensgeld stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar, denn es handelt sich hier um einen Ausgleich gerade für solche Nachteile, die dem Geschädigten außerhalb seines Vermögens entstanden sind. Das Gesetz nennt einen solchen Schaden immateriellen Schaden, vergleiche die Vorschrift des § 253 BGB.

Besondere Anspruchsgrundlage erforderlich

Nach § 253 Abs. 2 BGB kann Schmerzensgeld grundsätzlich nur verlangt werden, wenn eines der Rechtsgüter Körper, Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung verletzt worden ist.

Im bürgerlichen Recht sieht außerdem § 651 f BGB die Möglichkeit von Schmerzensgeld vor. Hiernach kann Schmerzensgeld verlangt werden wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit im Falle einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise.

Weiterhin besteht die Möglichkeit, für eine Verletzung von Urheberrechten gemäß § 97 Abs. 2 Urhebergesetz neben regulären Schadenersatz auch Schmerzensgeld zu verlangen, gemäß § 7 Abs. 3 Strafgefangenenentschädigungsgesetz (StrEG)und gemäß § 5 Abs. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes

Das Schmerzensgeld hat eine Doppelfunktion. Zum einen soll es einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden darstellen, zum anderen soll es Genugtuung für das verschaffen, was dem Geschädigten von dem Schädiger angetan worden ist. Die letztere Funktion steht deshalb regelmäßig in engem Zusammenhang mit der Beurteilung der Vorwerfbarkeit der schädigenden Handlung. Insbesondere spielt hier die subjektive Komponente auf Seiten des Schädigers eine maßgebliche Rolle, insbesondere ob er einfach fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Im Rahmen der ärztlichen Behandlungsfehler wirkt es darüber hinaus Schmerzensgeld erhöhend, wenn auf seiten des behandelnden Arztes Ignoranz und Gleichgültigkeit festgestellt werden können, OLG Naumburg, Neue juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport 2008, Seite 407.

Schmerzensgeld auch bei verschuldensunabhängiger Gefährdungshaftung

Werden die oben genannten Rechtsgüter, insbesondere Körper und Gesundheit, in zum Schadenersatz verpflichtender Weise verletzt, ohne dass dem Schädiger ein Verschulden hieran vorgeworfen werden kann, kommt grundsätzlich daneben stets Schmerzensgeld in Betracht, sofern ein gesetzlicher Tatbestand der Gefährdungshaftung verwirklicht worden ist, so die Halterhaftung gemäß § 11 Straßenverkehrsgesetz, § 6 Haftpflichtgesetz, § 8 Produkthaftungsgesetz und § 84 Arzneimittelgesetz.

Schmerzensgeld bei allgemeiner Haftung aus Vertrag

Auch bei vertraglichen Pflichtverletzungen ist der Weg zum Schmerzensgeld grundsätzlich möglich, sofern Sinn und Zweck des Gewährleistungsrechts dies gebieten. Während die Rechtsprechung hier früher vorsichtig war, ist mittlerweile für praktisch alle Vertragstypen anerkannt, dass eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung auch Schmerzensgeld mit umfassen kann. Das gilt selbst im Mietrecht für die Haftung des Vermieters für anfängliche Mängel, welche nach § 536 a BGB kein Verschulden voraussetzt.

Allerdings lässt sich diese Rechtsprechung noch nicht uferlos verallgemeinern. So führt die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages in der Regel nicht zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld, so der Bundesgerichtshof in Neue Juristische Wochenschrift 2009, Seite 3025, und auch nicht der Anspruch des Eigentümers eines Grundstücks gegen seinen Nachbarn auf Unterlassung und Beseitigung von Störungen gemäß § 906 BGB, BGH Urteil vom 23.7.2010 – Az. V ZR 142/09.

Bereits gesetzlich ausgeschlossen ist der Schmerzensgeldanspruch bei fahrlässigen Arbeit, Dienst-und Wehrdienstunfällen.

Der Präventionsgedanke bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Neben den Verletzungen von Körper und Gesundheit ist praktisch bedeutsam insbesondere auch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. Dieses wird aus den Grundrechten abgeleitet, insbesondere Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes. Seit einigen Jahren erkennt der Bundesgerichtshof hier zu Präventionszwecken, insbesondere auch im Presserecht, eine deutliche Erhöhung des Schmerzensgeldes an, um den so genannten Verletzergewinn abzuschöpfen, und zukünftige gleichartige Verstöße unattraktiv zu machen, Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 2005, Seite 58.

Bemessung des Schmerzensgeldes

Oberhalb einer Bagatellgrenze (Schürfwunden, Schleimhautreizungen, rechtlich umstritten bei Prellungen und kleineren Blutergüssen) ist Schmerzensgeld grundsätzlich bei allen gesetzlich einschlägigen Verletzungen geschuldet, bei Vorsatz des Täters sogar unabhängig von der Erheblichkeit des Schadens. Zu berücksichtigen bei der Bemessung sind die Schwere der Verletzung, die Schwere der Schmerzen, die Unsicherheit über den Krankheitsverlauf, familiäre Folgen, die Dauer der Krankenhausbehandlung, die ästhetischen und psychischen Folgen, das Alter des Verletzten bei bleibenden Behinderungen oder Entstellungen, auch bei der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Die Vermögensverhältnisse des Verletzten sollen grundsätzlich keine Rolle spielen. Unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes sollte diese Rechtsprechung allerdings kritisch überpürft werden.

Besondere Schadensneigung des Verletzten

Eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten soll sich nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs schmerzensgeldmindernd auswirken, vergleiche Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 1997, Seite 455. Auch diese Rechtsprechung ist kritisch zu sehen. In in derartigen Fällen darf das letztlich zugesprochene Schmerzensgeld nicht niedriger ausfallen, als es im hypothetischen Fall der Verletzung einer nicht besonders schadensgeneigten Person hätte zugesprochen werden müssen. Typische Fallgruppen der Schadensneigung sind gesundheitliche Vorschäden, Gebrechlichkeit, Allergien et cetera.

Auf Seiten des Schädigers spielt insbesondere die Frage nach Vorsatz oder Grad der Fahrlässigkeit eine Rolle. Umstritten ist, ob schlechte Vermögensverhältnisse des Schädigers, der für den Schadensfall über keine Versicherung verfügt, zu einer Reduzierung des Schmerzensgeldes führen können. Dies ist richtigerweise spiegelbildlich zu der Relevanz der Vermögensverhältnisse auf Seiten des Geschädigten (siehe oben) zu bejahen, da das Schmerzensgeld gerade in der Systematik des deutschen Rechts stets individuell persönlich zu bemessen ist und gerade nicht wie ein regulärer Vermögensschaden objektiviert.

Bei ungewissem Schadenverlauf kann der Fall auftreten, dass bereits über das Schmerzensgeld gerichtlich geurteilt werden muss, obwohl die Spätfolgen der erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigung noch nicht absehbar sind. Nach Rechtskraft des Urteils stellt sich dann die Frage, ob der Verletzte zu einem späteren Zeitpunkt diese nachträglich eingetretenen Folgen noch geltend machen kann. Grundsätzlich muss das Gericht die künftige Entwicklung im Rahmen des Vorhersehbaren bereits berücksichtigen. Bei nicht vorhersehbaren wesentlichen Verschlechterungen gegenüber der ursprünglichen Prognose zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kann der Verletzte noch nachträglich eine Abänderung des Urteils oder des gerichtlichen Vergleiches im Wege der Abänderungsklage durchsetzen. Dem Anwalt ist in solchen Fällen stets zu raten, die Klage für seinen Mandanten zu verbinden mit dem Antrag an das Gericht, die Verpflichtung des Schädigers zum Ersatz auch weiterer, zukünftiger und nicht vorhersehbaren Schäden mit im Urteil festzustellen. Das Gericht muss diesem Antrag nachkommen, wenn die objektive Möglichkeit dargelegt wird, dass bei dem Geschädigten künftige weitere, bisher noch nicht erkannte und nicht voraussehbare Leiden auftreten, vergleiche Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 2001, Seite 3414.

Berücksichtigung von Mitverschulden

Das Mitverschulden des Verletzten ist grundsätzlich zu berücksichtigen. Das gilt auch für die Anrechnung der so genannten Betriebsgefahr oder Tiergefahr, etwa bei Fahrzeugunfällen oder bei Beteiligung von Tieren.

Auszahlung als Einmalbetrag oder Dauerrente

Grundsätzlich ist Schmerzensgeld als einheitlicher Betrag zu zahlen. Bei schweren Dauerschäden kann daneben der Anspruch auf eine regelmäßige Schmerzensgeldrente treten. Die Rente soll der andauernden Beeinträchtigung des Verletzten angemessen Rechnung tragen. Eine Anpassung an zwischenzeitlich gestiegene Lebenshaltungskosten kann gegebenenfalls im Wege der Abänderungsklage auch noch Jahre später nach Abschluss des gerichtlichen Vergleiches oder nach ergehen des zu sprechenden Urteils durchgesetzt werden, vergleiche hierzu die Leitentscheidung Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 2007, Seite 2475.

Der Schmerzensgeldanspruch im Erbfall

Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist übertragbar und damit auch vererblich, Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 1995, Seite 783. Als Geldanspruch ist er grundsätzlich auch zu verzinsen.

Erhöhung des Schmerzensgeldes bei verzögerter Schadensregulierung

Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes kann gerechtfertigt sein, wenn der Schädiger die Regulierung des Schadens, etwa nach einem Unfall oder im Rahmen eines Versicherungsfalls, vorwerfbar und schuldhaft verzögert. Insbesondere ist hierzu die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg bekannt geworden. In Fortführung der ersten Entscheidung von OLG Nürnberg VersR 1998, 731 wurde diese Rechtsprechung zuletzt bestätigt in Urteil vom 22.12.2006, Az.: 5 U 1921/06.

Auch das OLG München hat mit Urteil vom 13. August 2010 Aktenzeichen 10 U 3928/09 festgestellt, dass eine hinauszögert um die Regulierung im Gerichtsverfahren Schmerzensgeld erhöhend wirken kann. Nach Auffassung des OLG München ist aber Voraussetzung, dass die hinauszögert um nicht mehr vertretbar ist. Es genügt danach nicht, dass entscheidungserhebliche Tatsachen im Prozess nicht bewiesen werden können.

Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der Schmerzensgelderhöhung bei vorwerfbarer Verzögerung der Regulierung noch nicht abschließend Stellung genommen, sondern hat diese Frage offen gelassen, so zuletzt in NJW 2006, Seite 1271.

Beispiele zur Schmerzensgeldhöhe aus der Rechtsprechung

500.000 Euro als Einmalbetrag und 511 Euro laufende Rente bei Verletzung eines Säuglings aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers. Infolgedessen geistige und körperliche Schwerstbehinderung, Landgericht Lübeck Urteil vom 22. Juli 2002, Aktenzeichen 10 O 316/98.

250.000 Euro als Einmalbetrag und 500 Euro Rente monatlich bei Verletzung eines 16 jährigen Jugendlichen. Infolgedessen weit gehende Lähmung, acht Monate Intensivstation im Krankenhaus, begleitende außerordentlich schwere seelische Beeinträchtigungen, Landgericht Würzburg Urteil vom 3. Dezember 2001, DAR 2002, Seite 74.

100.000 Euro Einmalbetrag und 300 Euro Rente bei Verletzung eines 19 jährigen Auszubildenden. Infolgedessen Querschnittslähmung, Anrechnung von 20 % Mitverschulden, Landgericht Köln Urteil vom 19. Oktober 1994 Aktenzeichen 14 O 177/93.

90.000 Euro als Einmalbetrag und 180 Euro Rente bei Verletzung eines achtjährigen Mädchens aufgrund eines ausländerfeindlich motivierten Brandanschlages. Infolgedessen schwerste Verbrennungen zweiten und dritten Grades an 32 % der Körperoberfläche, acht Wochen Krankenhaus, 14 Tage lang Lebensgefahr, Landgericht Duisburg Urteil vom 31. August 1993 Aktenzeichen 1O 123/93.

40.000 Euro als Einmalbetrag und 100 Euro Rente bei Verletzung eines 18 jährigen Auszubildenden. Infolgedessen dauerhafte Viehhaltung der Lendenwirbelsäule, Amputation des linken Oberschenkels, 70 prozentige Erwerbsminderung, vier Monate Krankenhaus, 1,5 Jahre vollständige Erwerbsunfähigkeit, Landgericht Traunstein, Urteil vom 1. Februar 1989, Aktenzeichen 3O 2494/88.

25.000 Euro als Einmalbetrag und 150 Euro Rente monatlich bei Verletzung eines Neugeborenen durch ärztlichen Kunstfehler. Infolgedessen schwerste Hirnschädigung und hierdurch dauerhafte Lähmung beider Beine und Arme, eingeschränkte Motorik, Bundesgerichtshof Urteil vom 13. Oktober 1992 Aktenzeichen VI ZR 201/91 (Anm.: Ausreißer nach unten, Rechtsprechung dürfte überholt sein).

47.000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung eines 61 jährigen Lehrers aufgrund eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers. Infolgedessen Amputation des linken Oberschenkels, Landgericht Paderborn Urteil vom 9. März 2001 Aktenzeichen 2O 116/00.

50.000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung einer Studentin. Infolgedessen schwerwiegender dauerhafter beidseitiger Tinnitus, Landgericht Hamburg Urteil vom 5. September 1997 Aktenzeichen 306 O 12/96.

40.000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung eines 35-jährigen Lackierermeisters. Infolgedessen Gesichtsverletzungen mit völliger Erblindung auf beiden Augen, Mithaftung wegen nicht anliegendes Sicherheitsgurtes, Oberlandesgerichts Saarbrücken Urteil vom 16. Mai 1986 Versicherungsrecht 1987, Seite 774.

30.000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung eines 37-jährigen Mannes. Infolgedessen Verlust des rechten Auges und Erwerbsminderung dauerhaft um 30 %, OLG Zweibrücken Urteil vom 17. Dezember 1998, Versicherungsrecht 2000, Seite 608.

30.000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung eines dreijährigen Mädchens infolge ärztlichen Behandlungsfehler. Infolgedessen schwere, entstellende Verbrennungen im Gesicht und in den Folgejahren zahlreiche plastisch-chirurgische Eingriffe, Urteil enthält Vorbehalt für künftige Spätfolgen, Bundesgerichtshof Urteil vom 26. Januar 1999 Versicherungsrecht 1999, Seite 579.

10.000 Euro als Einmalbetrag nach Verkehrsunfall, 5 Tage stationärer Krankenhausaufenthalt, Schulterprellung, belibende Narbe am Schlüsselbein, bleibende Bewegungseinschränkung der Schulter, bleibende Hautgefühlminderung partiell, bleibende Belastungsminderung Arm, bleibender Erwerbsschaden, Huashaltsführungsschaden, OLG Düsseldorf NJW 2011, s. 1152

6000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung einer Frau durch Hundebiss. Infolgedessen drei Wochen stationärer Behandlung mit ambulanten Nachbehandlungen, 5 % Erwerbsminderung dauerhaft in Folge verbleibender Hautnarben, Amtsgericht Herne-Wanne Urteil vom 29. Dezember 1993 Aktenzeichen 2C 520/93.

6000 Euro als Einmalbetrag bei Verletzung eines Mannes durch Hundebiss. Infolgedessen zwei Wochen Krankenhausaufenthalt und mehrmonatige Heilbehandlung mit zeitweiser Taubheit im Unterschenkel, Landgericht Aachen Urteil vom 20. Januar 1999 Aktenzeichen 4U 15/98 Versicherungsrecht 2001, Seite 1039.

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