Die Rechtsprechung zum Unterhalt wegen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit

Der Anspruch auf so genannten Betreuungsunterhalt richtet sich nach § 1570 BGB. Danach kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Die Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt verlängert sich darüber hinaus, wenn dies unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit in der Ehe sowie der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht. Der Gesetzgeber hat insoweit das aus der Zeit vor der Unterhaltsrechtsreform stammende Prinzip der nachehelichen Solidarität ausdrücklich – wenn auch nur mehr eingeschränkt – aufrechterhalten. Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung sind nach dem Willen des Gesetzgebers kindbezogene und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Entsprechendes wurde von dem Bundesgerichtshof auch bereits in dem Urteil NJW 2009,1876 festgestellt.

Zubilligung von Übergangsfristen

§ 1570 BGB verlangt keinen abrupten Wechsel von der auschließlichen Kinderbetreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen und elternbezogenen Gründe, vergleiche den Gesetzeswortlaut in § 1570 Abs. 1 S. 3 BGB und § 1570 Abs. 2 BGB, ist nach dem neuen Unterhaltsrecht vielmehr ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus trägt regelmäßig der unterhaltsberechtigte Elternteil.

Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung der Betreuung

Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts entfalten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht und sind deswegen vorrangig zu prüfen. Auszugehen ist hier allerdings, dass anders als nach der bis 2007 geltenden Rechtslage es keinen generellen Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten, insbesondere staatlicher Betreuung, mehr gibt. Aufgrund der Erwerbsobliegenheit beider Elternteile resultiert eine Obliegenheit zur Inanspruchnahme kindgerechter Betreuungsmöglichkeiten durch Dritte, soweit diese Betreuung mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinder horten ist dies regelmäßig der Fall, so der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung NJW 2009, Seite 1876.
In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes und somit nicht mehr auf kindbezogene Verlängerungsgründe berufen. Umfasst etwa die Betreuung von Schulkindern in einem Hort auch die Hausaufgabenbetreuung, bleibt auch insoweit für eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil kein unterhaltsrechtlich zu berücksichtigender Bedarf.

Kein Betreuungsunterhalt ohne Betreuungsbedarf

Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt aus kindbezogenen Gründen kommt auch dann nicht mehr in Betracht, wenn das Kind ein Entwicklungsstadium erreicht hat, in dem es in dem täglichen Zeitraum zwischen Ende der Schule und Beendigung der Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils sich selbst überlassen werden kann und deswegen auch keiner persönlichen Betreuung durch einen Elternteil mehr bedarf. Aus persönlichen Gründen des Kindes, insbesondere bei besonderem schulischem, psychischen oder körperlichen Hilfebedarf, kann aber das Gericht auch einen Fortbestand des Bedarfs nach elterlicher Betreuung annehmen und für diese Zeit Ausbildungsunterhalt zusprechen.

Stets Prüfung des konkreten Einzelfalls, keine starren Altersgrenzen

Der Betreuungsbedarf der Kinder ist in jedem Einzelfall konkret festzustellen. Hierzu muss im Streitfall das Familiengericht auch das konkrete Betreuungsangebot der kindgerechten Einrichtungen überprüfen. Die Heranziehung starrer Altersgrenzen der Kinder wie nach dem früheren Unterhaltsrecht üblich ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig. Wenn ein Familiengericht dennoch ohne konkrete Feststellungen zum Betreuungsbedarf allein aufgrund der Altersgrenzen Betreuungsunterhalt festsetzt, führt dies regelmäßig zu einem Berufungsgrund mit der Folge, dass das Urteil in der nächsten Instanz allein aus diesem Grund erfolgreich angefochten werden kann.
Mit Urteil vom 31. März 2011 hat der Bundesgerichtshof die Abkehr vom Altersphasenmodell nochmals bekräftigt → BGH: Abschied vom Altersphasenmodell .
In der weiteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs XII ZR 94/09 vom 15. Juni 2011 hat der Bundesgerichtshof im konkreten Einzelfall die allein erziehende Mutter einer neunjährigen Tochter in der dritten Grundschulklasse für grundsätzlich zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet erachtet, vergleiche die Urteilsbesprechung → BGH: Allein erziehende Mutter einer neunjährigen Tochter muss Vollzeit arbeiten.

Beispiele für Betreuungsbedarf

Sportunterricht der Kinder ist regelmäßig bei den Feststellungen zum Betreuungsbedarf zu berücksichtigen. Wenn die Kinder nicht in einen Schulhort gehen, muss das Familiengericht feststellen, ob ein solcher Schulhort existiert. Ein alleiniger Hinweis auf Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung kann eine Betreuungsbedürftigkeit im Sinne des Gesetzes noch nicht begründen. Auch ein genereller Hinweis auf die Besonderheiten des örtlichen Schulsystems genügt nicht, wenn diese Feststellungen nicht konkretisiert werden. Die Betreuungsmöglichkeiten durch Angehörige, insbesondere Eltern, sind ebenso zu berücksichtigen wie durch sonstige Haushaltsangehörige, wie beispielsweise Au-Pair-Mädchen, in Einzelfällen auch Nachbarn.

Weitreichende Erwerbstätigkeit trotz Betreuungbedarfs der Kinder

Die Rechtsprechung verkennt nicht, dass vielfach die betreuenden Elternteile höhere Belastungen eingehen, als dies an sich von dem Gesetz verlangt werden kann. Gerade im Vergleich zu den berufsbedingten Belastungen des unterhaltspflichtigen Elternteils ergibt sich oftmals ein Bild der echten Doppelbelastung aufgrund einer weitreichenden Erwerbstätigkeit und gleichzeitiger Kinderbetreuung durch die eigene Person. Während kurz nach Inkrafttreten der Unterhaltsrechtsreform vielfach vertreten wurde, dass in solchen Fällen das erzielte Einkommen in vollem Umfang eine Unterhaltskürzung bewirkt, weil ein so genannter Erwerbstätigenbonus nach der neuen Systematik des Unterhaltsrechts nicht mehr in Betracht komme, hat der Bundesgerichtshof seit der Entscheidung Neue Juristische Wochenschrift 2009, S. 1876 nunmehr zum wiederholten Male betont, dass auch das neue Unterhaltsrecht derartige überobligationsmäßige Belastungen des betreffenden Elternteils durch einen rechnerischen Bonus anzuerkennen hat. Da nach dem neuen Unterhaltsrecht beide Elternteile zwar trotz der Kinderbetreuung eine weitreichende Erwerbsobliegenheit trifft, wird der Bonus allerdings nicht mehr in Form eines (pauschalen) Betreuungsbonus beziehungsweise Erwerbstätigenbonus gewährt.
Die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zum Erwerbstätigenbonus zeigt allerdings, dass die Streubreite inner Rechtsprechung seit Inkrafttreten der Unterhaltsrechtsreform nach wie vor groß ist. So erkennt das OLG Düsseldorf einen Erwerbstätigenbonus auch dann nicht an, wenn die allein erziehende Mutter ein dreijähriges Kind zu betreuen hat und vollschichtig tätig ist, vergleiche hierzu die Urteilsbesprechung → OLG Düsseldorf: kein Erwerbstätigenbonus bei Vollzeittätigkeit und begleitender Kindererziehung .

Nur noch anrechnungsfreies Einkommen, kein Betreuungsbonus mehr

Einen vor der Unterhaltsrechtsreform oft angenommenen Automatismus dergestalt, dass jede Erwerbstätigkeit, welche zusammen mit der Kindesbetreuung über einen 8-Stunden-Tag hinaus ging, zu einem Betreuungsbonus führte, gibt es nicht mehr. Statt dessen wird darauf abgestellt, ob der Elternteil mit der Kombination von Erwerbstätigkeit und Betreuung im Einzelfall unzumutbar belastet ist. Die Frage, ob ein eigenes Einkommen des unterhaltsbedürftigen Elternteils, das dieser neben der Kindesbetreuung erzielt, bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, richtet sich allein nach § 1577 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift ist also zu ermitteln, inwieweit der Unterhaltsberechtigte wegen der Kindesbetreuung von seiner Erwerbsobliegenheit befreit ist und deshalb ein gegebenenfalls dennoch darüber hinausgehendes Erwerbseinkommen aus der Unterhaltsberechnung herausgehalten werden muss.

Aufstockungsunterhalt bei teilweiser Erwerbstätigkeit

Wenn der betreuende Elternteil wegen der Betreuung fast überhaupt nicht erwerbstätig sein kann, richtet sich sein Unterhaltsanspruch ausschließlich nach den Vorschriften des Betreuungsunterhaltsrechts. Ein Aufstockungsunterhalt kommt daneben nicht in Betracht. Wenn er hingegen teilweise erwerbstätig sein kann, teilweise erwerbstätig ist, wählt der Bundesgerichtshof aus systematischen Gründen, ohne dass diess der Regel rechnerisch zu anderen Ergebnissen führen würde, einen zweigeteilten Ansatz. Zunächst wird der Betreuungsunterhaltsanspruch berechnet bis zur Höhe eines fiktiven eigenen Einkommens bei Vollerwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils. In einem zweiten Schritt ist dann zu überprüfen, ob bei Annahme eines fiktiven vollschichtigen Erwerbseinkommens immer noch eine Differenz zu den ehelichen Lebensverhältnissen verbleibt. Ist dies der Fall, kommt ein Aufstockungsunterhaltsanspruch zur Deckung dieses weiteren Bedarf in Betracht, so Bundesgerichtshof Neue Juristische Wochenschrift 2009, Seite 989.

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